11 Millionen illegale Migranten leben in den USA. Viele trauen sich nicht, in die Spitäler zu gehen. Für Antonio endete die Angst tödlich.
Antonios Asche steht in einer winzigen Wohnung im New Yorker Stadtteil Queens. Dorthin wurde die Urne vor ein paar Tagen gebracht, um sie seinen zwei Geschwistern zu übergeben – zusammen mit einer Rechnung über 2800 Dollar für die Kremation.
Nun ist es an ihnen, Antonio zurück nach Mexiko zu bringen. Ins 550-Seelen-Dörfchen San Miguel el Progreso, zwei Stunden vom Pazifik entfernt. Antonio starb am Samstag, dem 25. April, in einem New Yorker Spital an den Folgen des Coronavirus. Er wurde 30 Jahre alt.
Ins Spital, das wollte Antonio nicht, jedenfalls nicht zu Beginn der Krankheit. «Er hatte Angst, hinzugehen», sagt sein Mitbewohner David am Telefon. Antonio war ein illegaler Migrant; einer von rund 11 Millionen, die nach Schätzungen der Internationalen Organisation für Migration in den USA leben.
Knapp die Hälfte von ihnen stammt aus Mexiko, wie Antonio. Sie arbeiten als unterbezahlte Arbeitskräfte in der Bau- und Gastrobranche, der Landwirtschaft und der Fischerei, in Fabriken oder als Reinigungskräfte. Ohne sie würde die US-Wirtschaft nicht funktionieren.
Sein Misstrauen war stärker als das Virus
Und trotzdem haben jetzt in der Krise viele von ihnen Angst, sich in den Spitälern zu melden. Sie haben Angst, deportiert zu werden. Sogar in New York, einer sogenannten «Sanctuary City» («Zufluchtsstadt»), in der die Spitäler und auch die Polizei Personen nicht nach ihrem Aufenthaltsstatus fragen. Seit Ausbruch der Pandemie wurde in New York kein einziger Illegaler wegen seines Aufenthaltsstatus verhaftet.
«Mann, es geht mir übelst. Ich kann nicht mehr aufsitzen, um zu essen.»
Antonio
Doch Antonios Misstrauen war zu gross. «Die holen sich deine Daten einfach auf eine andere Art», sagt sein Mitbewohner David. Mit ihm und drei weiteren Landsmännern hatte Antonio in einer Dreizimmer- wohnung in Queens gewohnt. Keiner von ihnen hatte eine Aufenthaltsgenehmigung, keiner sprach Englisch. Sie arbeiteten in Restaurants und auf dem Bau.
Die Zahl der Illegalen, die an Corona sterben, weil sie sich aus Angst nicht behandeln lassen, steigt rasch an. Zurück nach Hause können sie nicht.
Auch Antonio sass in New York fest. Die abgelegenen Bergdörfer in seinem Heimatstaat Guerrero haben sich zum Selbstschutz abgeriegelt. Ein einziger Krankheitsfall hier im mexikanischen Hinterland könnte eine Katastrophe auslösen.
Und dann kam keine Antwort mehr
Um der Armut zu entfliehen, war Antonio einst gen Norden gegangen, um seiner Familie irgendwann Geld schicken und seinen Traum verwirklichen zu können. Der einstige Taxifahrer wollte eine Genehmigung erhalten, um von seinem Heimatdorf aus seine eigene Busroute zu unterhalten. Nur noch zwei Jahre hätte er dafür in den Vereinigten Staaten arbeiten müssen.
Kurz nachdem sein erster Mitbewohner am Coronavirus erkrankte, waren alle in der engen Wohnung infiziert. Am schlimmsten erwischte es Antonio. «Das Atmen ist ihm jeden Tag schwerer gefallen», erzählt David. Erst sein Bruder habe ihn überreden können, doch noch ins Spital zu gehen.
Via Whatsapp meldete sich der schwerkranke Antonio bei seinem Mitbewohner David aus einem Spital in Manhattan: «Ich glaube, morgen schmeissen sie mich hier raus. Sie sagen, man solle zu Hause auskurieren», schrieb Antonio.
Ein paar Tage später schickte er nach: «Mann, es geht mir übelst.» Und noch einen Tag später: «Ich kann nicht mehr aufsitzen, um zu essen.» Im selben Stil gehen die Nachrichten weiter bis am Freitag, dem 24. April. «Ich schrieb ihm am Samstagmorgen eine Textnachricht», sagt David. «Aber er antwortete nicht mehr.»