Heute sind es nur noch vier

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von Flurina Dünki (Text und Titelfoto)

Ausser dem grossen Milchtank hat fast nichts Platz im kleinen Raum. Wer über die Schwelle tritt, kann sich kaum vorstellen, wie alle Bauern in der Milchannahmestelle der Milchgenossenschaft Schmiedrued Platz fanden. Damals, im Gründungsjahr 1963 und den Jahren danach, mussten sich Bauern und Bäuerinnen aneinander vorbeizwängen, als sie im Morgengrauen ihre Milch zur Annahmestelle brachten. Davon zeugt ein Foto aus der Zeit der Einweihung. Ein Stimmengewirr, untermalt vom Scheppern der Milchkannen herrschte damals allmorgendlich.

1963, als die Mitglieder der Milchgenossenschaft Schmiedrued auf Käsireis gingen, waren sie noch zahlreich. zvg

Heute ist es still oben auf der Löhren. So still, dass man das Surren vom Kühlmechanismus des 6000-Liter-Tanks hört. «3,8 Grad kalt muss die Milch sein, damit sie keine Nidle ansetzt», sagt Paul Bolliger (57) und schaut auf die Digitalanzeige des Thermometers. Seit Jahrzehnten bringt seine Familie die Milch in die Käserei auf der Löhren. So nennen sie viele, obwohl hier nie Käse produziert wurde. Täglich kommt der Emmi-Tankwagen von Suhr her das Ruedertal hochgefahren und saugt die Milch ab. Es ist Abend, aber das allein ist nicht der Grund, weshalb Bolliger heute keinem anderen Genossenschafter begegnet. Nur noch vier Milchbauern aus Schloss- und Schmiedrued sind in der Genossenschaft verblieben. Und sie, die letzten, werden die Käserei nun zu Grabe tragen.

Hauskauf wegen horrender Miete

Das Dokument der ersten Generalversammlung der Milchgenossenschaft stammt aus dem Jahr 1924. Damals stellte ein Genossenschafter ein Raum seines Hauses zur Verfügung. Dort stand die Zentrifuge, die den Rahm von der Milch trennte. Verkauft wurde damals nur der Rahm. Die Magermilch als Restprodukt verfütterten die Bauern ihren Tieren. Das Arrangement ging so lange gut, bis der Kollege, in dessen Haus die Annahmestelle war, mehr Mietzins verlangte. Und noch etwas mehr. Und dann noch etwas. So wurde es Bolliger von den älteren Niggi-Generationen überliefert. S’Niggis – so wird seine Familie seit Grossvater Niklaus genannt. Nur dank Übernamen lassen sich die verschiedenen Bolliger-Familien im Ruedertal unterscheiden.

Die Bauern befreiten sich von den horrenden Mieten, bauten ihre eigene Annahmestelle. «Die Schmiedrueder können stolz sein auf diesen Neubau», steht in einem Zeitungsbericht über die Eröffnung 1963.

Der Hund zog die Milch

Damals war Paul Bolliger zwei Jahre alt. Als er aufwuchs, war die Milch noch Einkommensquelle. 60 Liter gaben die zwölf Kühe des Vaters täglich. Eins der vier Kinder wurde jeweils morgens mit den Kannen hoch auf die Löhren geschickt: «Raus aus dem Bett und vor der Schule zuerst die Milch raufbringen», habe es damals geheissen. Ein Hund zog das Wägeli mit den Kannen, was nicht hiess, dass der kleine Paul keine körperliche Arbeit verrichten musste: «Die anderen Kinder waren gleichzeitig unterwegs, ebenfalls mit Hunden. Wir mussten sie kräftig festhalten, denn die Hunde wollten immer aufeinander los.»

Der jugendliche Paul kannte noch keine Sorge um den Milchpreis. Die grösste Herausforderung für den damaligen Jüngling war es, das Töffli, das die Milchkannen zog, im Winter heil um die vereisten Kurven zu fahren. «Mehr als einmal hats mich überstellt und alle Milch leerte aus. Der Vater hats erst gemerkt, als er die Milchabrechnung anschaute.»

Von 95 auf 50 Rappen

In den 90er-Jahren gings bergab mit dem Milchpreis, just als Bolliger vom Vater den Hof übernahm. «Es ging einfach immer runter mit dem Preis. 95 Rappen war der Liter zur Zeit meines Vaters wert, bis heute ist er auf 50 Rappen gefallen.» Der Milchpreis wurde zum Hauptthema der jährlichen Generalversammlung der Genossenschaft. Dies und der steigende administrative Aufwand wegen immer mehr Formularen für Direktzahlungen. «Wenn ein Kreuzchen falsch gesetzt wird, dann werden dir Gelder gestrichen», so Bolliger. Die Konsequenz: Ein Ruedertaler Bauer nach dem anderen gab die Milchwirtschaft auf. Die Milch wurde zur Belastung für die Landwirte. Ein paar Betriebe haben wegen ihrer Grösse überlebt, sie lassen den Tankwagen vom Milchabnehmer aber gleich zum Hof kommen.

Verkauf beschlossen

Die Tage der Milchgenossenschaft sind gezählt. «Wir sind momentan daran, sie aufzulösen», so Bolliger. Kürzlich hätten sie Bescheid bekommen vom Ehepaar, das über der Annahmestelle wohnt. Es wird ihnen das Gebäude abkaufen. Damit wird die Region eine weitere Milchannahmestelle verlieren. Erst vor einem Jahr ging mit der Milchgenossenschaft Leimbach die letzte Annahmestelle im Oberwynental zu.

Auf dem Niggi-Hof steht ein eigener Milchtank. Dort hat die Milch von Bolligers 18 Kühen und derjenigen eines Nachbarn Platz. Der Abnehmer wird die Milch dann direkt auf seinem Hof holen kommen. Wird er seine Kühe behalten? Bolliger seufzt. «Ich möchte erst mal warten, bis Jonas, mein Jüngster, mit der Landwirtschaftsausbildung fertig ist.» Jonas ist 14 und das einzige von fünf Kindern, das in die Fussstapfen des Vaters tritt. Er wolle dem Sohn Zeit zum Entscheid geben, ob er den Hof übernehmen wolle. Dann erst werde über die Kühe bestimmt. Der Nachteil liegt für ihn auf der Hand: «Ob Sommer oder Winter, ob krank oder gesund: Um Kühe zu melken, musst du immer frühmorgens aus dem Bett – und Geld dafür kommt kaum mehr rein.»